„Du musst gehen, gehen, gehen!“
Interview / / / Mai 2017

Blühende Beete: Zu Gertrud Arndts Kunden gehören unter anderen viele Nachbarn aus dem Kleingartenverein Eberswalde, in dem sie Schriftführerin ist
Gertrud Arndt, 68, fing am 9. Januar 1976 als Nebenberufsvertreterin in Eberswalde für die Staatliche Versicherung der DDR an. Seitdem ist sie dabei – und in Notfällen für ihre Kunden auch rund um die Uhr erreichbar. Auf ein typisches Rentnerdasein hat sie noch keine Lust. Neben Versicherungen verkauft sie auch noch Reinigungsmittel.
Seit 41 Jahren ist Gertrud Arndt Nebenberufsvertreterin – und hat in dieser Zeit viele Wendepunkte erlebt. Darunter den Mauerfall und die Wiedervereinigung. Mit Martina Hilpert, ihrer aktuellen Leiterin der Verkaufsregion Eberswalde, klappt die Arbeit besonders gut
Frau Arndt, Sie waren schon in der DDR Nebenberufsvertreterin – damals für die Staatliche Versicherung. Wie wirkte sich die große Weltpolitik konkret auf Ihr Geschäft aus?
Gertrud Arndt: Die Pflicht zur Kfz-Versicherung, die es in der DDR nicht gegeben hatte und die zum 1. Januar 1991 kam, war für mich spannend. Kraft war schon immer mein Hauptgeschäft. Ende 1990 wollten viele über den Jahreswechsel mit dem Auto wegfahren und brauchten für den Rückweg die passende Police. Die Staatliche Versicherung hatte aber schon geschlossen. Da haben meine Inspektorin – so hießen die LVR damals – und ich improvisiert. Wir setzten uns mit dicker Decke, Stehlampe und Tee am frühen Morgen in den Hausflur einer Kundin und haben im Akkord die Schlange an Leuten abgearbeitet, die da kamen. Die konnten in den Urlaub, und wir hatten einen Schwung neuer Kunden.
Frau Hilpert, Sie haben Frau Arndt erst viel später kennengelernt und sind heute ihre LVR. Können Sie sich Frau Arndt vor 27 Jahren vorstellen?
Martina Hilpert: Ja, ihre Energie wird damals ähnlich beeindruckend gewesen sein wie heute. Spannend finde ich, dass sie als NV immer ihren Lebensunterhalt verdient hat und sich trotzdem nie zur Hauptvertreterin küren ließ.
Arndt: Ich wurde gefragt, wollte aber nicht. Obwohl ich nach der Wende meinen Hauptjob im Institut für Forstwissenschaft aus persönlichen Gründen gekündigt hatte. Mir war die Familie wichtig. Ich kümmerte mich um die Kinder, später dann um die Enkel, und half meinem Mann im Büro.
Sind die Kunden, die Sie während und kurz nach der Wende im Hausflur gewannen, bis heute bei Ihnen?
Arndt: Ja, manche berate ich sogar seit 1976. Damals hatte ich als NV angefangen. Meinen Kundenstamm durfte ich nach der Übernahme der Staatlichen durch die Allianz ja fortführen. Und der Rest ist über die Jahre einfach so gewachsen – Familien sind größer geworden, neue Nachbarn hinzugezogen.
Welche Aufgaben hatten Sie als NV in der DDR?
Arndt: Ich war hauptsächlich Kassiererin. Es gab Marken, und ich musste losgehen und Beiträge kassieren.
Hilpert: Ich kenne das noch von meinen Eltern: Einmal im Monat kam die Versicherungsfrau und hat kassiert. Und wenn ein Vertrag ausgelaufen war, hat man eben einen Anschlussvertrag gemacht. Da hat überhaupt niemand diskutiert, das war einfach so.
Zur Staatlichen Versicherung gab es ja keine Konkurrenz. War die Arbeit dadurch einfacher?
Arndt: Natürlich lief da vieles von allein. Aber meine damalige Inspektorin war sehr ehrgeizig und hat uns immer angetrieben. Sie sagte immer: „Du musst gehen, gehen, gehen!“ Das mache ich bis heute.
Was heißt das?
Arndt: Na, unterwegs sein! Zum Kunden gehen. Es gab damals zugewiesene Reviere, Straßenzüge, über die man sich nicht hinwegbewegen durfte. Ich hatte vier Straßen, auch die, in der ich heute noch wohne.
Wie verlief Ihr erstes Kennenlernen?
Hilpert: Kurz vor unserem ersten Treffen im Januar 2016 rief ich bei Frau Arndt an, um mich vorzustellen. Sie sagte: „Gut, dann sind Sie jetzt die …“
Arndt: Siebte!
Hilpert: Genau. Und danach sagte sie: „Damit Sie Bescheid wissen, ich kann keine Termine machen.“

Martina Hilpert (r.) betreut 14 NV. Die 54-jährige LVR arbeitet seit 1991 in verschiedenen Positionen für die Allianz. Sie hat zwei erwachsene Söhne und einen Enkel. Immer donnerstags besucht sie Gertrud Arndt in ihrem Büro in Eberswalde
Was haben Sie denn gegen Termine, Frau Arndt?
Arndt: Während meiner ganzen Tätigkeit haben sich Treffen mit Kunden immer von alleine ergeben.
Hilpert: Wir vermeiden das Wort jetzt einfach und sprechen lieber von Verabredungen. Schon klappt das. Man kann Frau Arndt auch keine zehnseitige Liste zum Abarbeiten in die Hand drücken, da macht sie zu. Wir sehen uns vorher die Kunden gemeinsam an und entscheiden, wen wir zu welchem Thema hier sitzen haben wollen, dann kümmert sich Frau Arndt um die Verabredungen.
Wie teilen Sie sich Ihren Tag ein?
Arndt: Ich stehe auf, frühstücke mit meinem Mann, der geht in den Garten und ich die 200 Meter in mein Büro – einen Container. Direkt vor meinem Fenster ist die Straße, da kann ich mir mal den einen oder anderen zum Plausch reinholen. Alles ganz locker.
Hilpert: Bei Frau Arndt gibt es immer frischen Kaffee. Da kommt zum Beispiel der Postbote auf eine Tasse, lässt dann aber auch sein Auto hier rechnen und schickt seine Bekannten vorbei. Frau Arndt strahlt etwas sehr Familiäres aus. Besonders die jüngeren Kunden mögen das.
Arndt: Ich versuche, meinen Kunden das Gefühl zu vermitteln, dass sie bei mir gut aufgehoben sind. Und wenn ich mal nicht weiter weiß, frage ich einfach Frau Hilpert.
Wie eng arbeiten Sie zusammen?
Hilpert: Weil Frau Arndt einen relativ großen Bestand hat, haben wir den Donnerstag als festen Termin eingeplant. Wenn sie mich braucht und ich es einrichten kann, düse ich zu ihr. Wir telefonieren regelmäßig und mailen uns. Frau Arndt nutzt ganz selbstverständlich das Kundenbüro zur Betreuung.
Wie digital arbeiten Sie?
Arndt: Ich nutze das komplette Programm – Smartphone, ABV-Portal, alles. Es fing an mit so einem Taschencomputer, mit dem man Tarife berechnen konnte. Ein Bekannter hat mir dann immer seine ausrangierten Computer vermacht. Ich war von Anfang an dabei und komme ganz gut klar.
Hilpert: Wenn ich mal für ein Vierteljahr in den Urlaub fahren würde, wären die Kunden von Frau Arndt trotzdem gut betreut. Im Prinzip kann sie alles allein.
Arndt: Als einer von Frau Hilperts Vorgängern krank wurde, war ich fast ein ganzes Jahr ohne LVR. Und meine Kunden sind trotzdem geblieben (lacht). Ich bin aber froh, wenn ich Hilfe habe, vor allem bei den Themen Berufsunfähigkeit und Rechtsschutz.
Hilpert: Frau Arndt ist eine ehrliche Haut, das schätze ich sehr an ihr. Und ihren Ehrgeiz. Als sie vergangenes Jahr den zweiten Platz erreichte, hat sie sich zwar gefreut, aber auch geärgert über die fehlenden Punkte.
Und was schätzen Sie an Frau Hilpert?
Arndt: Sie hat ein umfangreiches Wissen, ist sehr nett, zuverlässig und ein bisschen streng, was gut ist. Mit Frau Hilpert kann ich mir vorstellen, noch ein paar Jahre für die Allianz zu arbeiten. Mindestens bis 70! Meine vier Enkel sind ja auch schon groß.

Interessante Geschichte: Mit der Wende wurde die Staatliche Versicherung der DDR abgewickelt und ging 1998 vollständig in der Allianz auf