Gutes von gestern
Zeitmaschine / / / März 2017
Kunde bedeutet auf Mittelhochdeutsch Bekannter. Kommt Ihnen dieser Herr hier bekannt vor? Ein Fundstück aus dem Firmenhistorischen Archiv

Eine typische Unfallsituation: »Trimmen durch Radfahren: Radfahrer und Fußgänger haften für den Schaden, wenn sie einen Verkehrsunfall verschulden.« Aus der Allianz Werbung zur Haftpflichtversicherung aus dem Jahr 1973
erbefiguren haben einen ganz eigenen Charme. Sie sind weder schön noch wirken sie modern. In ihrer kauzigen Art überdauern sie manchmal Generationen wie der Bärenmarken-Bär, der nur zwei Jahre jünger ist als die Allianz und seit 1892 auf Alpenmilch steht. Oder Bibendum, das Michelin-Männchen, dessen plumpe Gestalt seit 1893 aus Gummireifen geformt ist. Nicht ganz so alt ist der archetypische Kunde, dem die Allianz mit der Figur des Herrn »Hätt’ ich doch ...« ein Denkmal gesetzt hat. Mit zerknautschtem Gesicht und sorgenvoller Miene stand er für einen Menschen, der im Konjunktiv lebt: Hätt’ ich mich doch versichert! In Werbebroschüren und Plakaten der Allianz durchlebt Herr »Hätt’ ich doch« seit den 1930er-Jahren den Horror eines Nichtversicherten. Haus abgebrannt, Wagen verschrottet, Splitter im Auge, Waschmaschinenschlauch gerissen. Drei Worte fassen seinen Seufzer zusammen: »Hätt’ ich doch!« Hinterher ist man eben klüger.

Der Seufzer war ihm ins Gesicht geschrieben. Die beliebte Werbefigur des Herrn »Hätt’ ich doch« traf den Nerv des Kunden
Aus Mitleid hätte man ihm gewünscht, er könnte sich wenigstens einmal wie das HB-Männchen entspannen: »Halt, mein Freund! Wer wird denn gleich in die Luft gehen ...!«
In den 1950er-Jahren machte die Werbeabteilung der Allianz eine Umfrage. Vertreter sollten auf einem Kärtchen mit vier verschiedenen Mienen ihren Favoriten ankreuzen. Einige Agenturen hatten sich über den Look des Griesgrams in einem neuen Prospekt beschwert. »Man wirft ihm vor, ein unseriöses Aussehen, eine zu blaue Krawatte, eine unmögliche Frisur und vor allem kein vorschriftsmäßiges ›Hätt’ ich doch‹-Gesicht zu haben«, schreibt die Allianz Zeitung im Jahr 1956. »Einige gingen so weit, ihn einen Trunkenbold, einen unsoliden Herrn oder Boogie-Woogie-Tänzer zu nennen.« Herrn »Hätt’ ich doch« haben diese Schmähungen nicht gestört, auch nicht, dass man in ihm »einen südländischen Typ nach durchzechter Nacht« erkennen wollte. Seine Fans waren in der Überzahl. Mehr als 80 Prozent der Reaktionen fielen positiv aus. »Die Bezirksdirektion Wesel nimmt wie folgt Stellung«, berichtet die Allianz Zeitung: »Der neue Haft-Pflicht-Prospekt hat im allgemeinen sowohl beim Kunden wie auch bei unseren Vertretern einen sehr guten Anklang gefunden.« Auch die Kollegen aus Mannheim lobten: »Wir halten diesen Prospekt für die Akquisition für ausgezeichnet!«

Herr »Hätt’ ich doch« kann sogar lächeln!
Eine der schönsten erhaltenen Werbungen im Firmenhistorischen Archiv stammt aus dem Jahr 1973. Das Titelblatt zeigt den Gebeutelten grübelnd auf einem Stuhl, eingerahmt von einem poppigen Blau. Blättert man um, verschrecken den Leser Pressemeldungen von Schadenereignissen, die alle sehr sehr böse enden. Doch daneben sitzt Herr »Hätt’ ich doch« – und lächelt. Zum ersten Mal in seinem langen Werbeleben! »Er kann beruhigt sein: Er hat eine Haftpflichtversicherung«, steht unter dem Bild.
Für den ironischen Umgang mit der Figur war der Grafiker Albrecht Steinert verantwortlich, der eine Reihe von humorvollen Plakaten bei der Allianz entwarf. Ganz unaufdringlich war dem Kundenprospekt übrigens ein Antragsformular beigelegt. Nur so, für alle Fälle. Hätt’ ich doch ... fast vergessen zu erwähnen.

