Tränen des Glücks
Sport / / / September 2015

Solheim Cup 2015: Blick auf das 11. Fairway in St. Leon Rot

Spürte den Geist des Solheim Cups: die blinde Schwimmweltmeisterin Daniela Schulte
aniela Schulte sieht weder das leuchtende Grün noch die Tribünen mit den Fans, nicht die Europa- und USA-Fähnchen, die vor jedem Schlag tausendfach gewedelt werden. Nicht die amerikanischen Schlachtenbummler, die mit rotblauweißen Perücken und Superhelden-Capes einen Hauch Fasching auf die Anlage bringen. Aber sie hört alles ganz genau: die Klatschpappen, die „Go Euroooope“ und „Juu-Ess-Äiiii“-Rufe, den anschwellenden Jubel. Dann wird es plötzlich ganz still am ersten Abschlag, und Daniela Schulte hört den metallischen Knall, als ein Golfschläger auf den Ball trifft und das Surren danach, wenn er Richtung Grün fliegt, hier beim Solheim Cup, dem wichtigsten Golfturnier der weiblichen Profis. Auch wenn sie nichts sehen kann, den Geist des Solheim Cups spürt sie mit jeder Faser: Kleine Bälle sorgen hier für große Gefühle.
Die blinde Schwimmerin Daniela Schulte ist Weltmeisterin und Paralympics-Siegerin über 400 Meter Freistil, und auf Einladung der Allianz verfolgt sie zum ersten Mal einen Golfwettbewerb. „Ist ja wie im Fußballstadion hier, das hätte ich nicht erwartet“, sagt sie. Den abrupten Wechsel vom fröhlichen Tumult kurz vor dem Abschlag zu gespannter Konzerthaus-Stille kennt sie nur zu gut, „das ist in der Schwimmhalle genauso“. Ihr Mann Christian, ihr Souffleur, nimmt sie am Arm, sie wollen zum nächsten Loch, „man sieht sich“, ruft sie zum Abschied.
Der Solheim Cup fand am Wochenende zum ersten Mal in Deutschland statt, er gilt als der prestigeträchtigste Wettkampf im Damengolf und ist als Kontinentalvergleich eine sportliche Seltenheit: Die zwölf besten Golferinnen Europas messen sich mit den stärksten US-Amerikanerinnen. Das weibliche Pendant zum ehrwürdigen Ryder Cup (der noch nie in Deutschland stattfand). In St.Leon-Rot mit dabei sind Stars wie die Amerikanerin Michelle Wie, die schon als Jugendliche von Nike und Sony unter Vertrag genommen wurde, die Norwegerin Suzann Pettersen und die deutschen Lokalmatadorinnen Caroline Masson und Sandra Gal. Weltklasse, die auf der weitläufigen Anlage jeder einmal aus ein paar Metern bewundern kann, die Karawane zieht ja nach jedem Schlag weiter. Golfturniere sind Wandertage.
ls einer der Hauptsponsoren hat sich zum ersten Mal die Allianz eingebracht. „Der Solheim Cup ist der krönende Abschluss unseres Sommers der Frauen“, sagt Sponsoring-Chef Manfred Boschatzke. Nach der Fußball-WM in Kanada mit dem Titeltraum der DFB-Frauen und den Erfolgen der Allianz-eigenen Stuttgarter Volleyballerinnen folgt die dritte Sportart, bei der die Allianz als Unterstützer dabei ist. „Wir sind gemeinsam mit SAP Mitveranstalter des Solheim Cup“, sagt Boschatzke, seit zwei Jahren haben Allianz, SAP und der Golfclub den Cup vorbereitet und konzipiert – auch die Liveübertragung in der ARD haben sie entscheidend angeschoben.
68.000 Zuschauer haben an den drei Turniertagen die Spiele verfolgt, ein großer Erfolg für einen Sport, der in Deutschland bei manchem noch unter Snobverdacht steht, ein Verdacht, der beim Blick auf die Besucher schwer zu halten ist: Familien sind hier, aber auch Hipster mit lustigen Bärten, rüstige Rentner mit tragbaren Campingstühlen genauso wie Schüler und Studenten. Viele Tausend sind aus den USA gekommen, Spanier, Italiener und Schweden sind unter den Besuchern zu finden, von denen viele die blauen Europa-Fähnchen schwingen, die auf der anderen Seite farblich passend das Allianz-Logo tragen.

Von links: Manfred Boschatzke (Allianz), Rolf Schumann, Dietmar Hopp (beide SAP), Joachim Müller (ABV-Vorstandschef)
„Wir bräuchten mehr von solchen europäischen Veranstaltungen, sagt SAP-Gründer Dietmar Hopp. Für Hopp, als Präsident des Golfclubs St. Leon-Rot auch Gastgeber des Solheim Cups, ballen sich am Turnierwochenende die Sportereignisse, bei denen er als Macher und Mäzen involviert ist. Mit Golf hat er gerade mehr Freude als mit seiner TSG Hoffenheim, die am Freitagabend in Mainz verliert. „Beim Golf herrscht Spannung pur, da muss man keine schlechten Halbzeiten wie beim Fußball ertragen“, brummt der SAP-Gründer. In der Tat setzen sich die Turniertage aus vielen kleinen Höhepunkten zusammen, der Spielmodus des Cups macht jeden einzelnen Schlag wichtig im großen Kontinentalkampf.
Elisabeth Esterl, als erste deutsche Teilnehmerin beim Solheim Cup 2003 die Grande Dame des Turniers, erklärt den Unterschied so: „Du spielst hier nicht nur für dich, sondern auch für elf Teamkolleginnen, zwölf Caddies und alle Fans, da schießt das Adrenalin schon rein.“ Puls der Spielerinnen? „Locker 160.“ Sie freut sich über das bisher größte Damenturnier in Deutschland: „Schon gewaltig, was man hier auf die Beine gestellt hat“, so die Dingolf(!)ingerin, die 2003 übrigens auch gleich mit Team Europa gewann. Für Deutschland wünscht sie sich, dass die Hemmschwelle sinkt, Golf zu spielen. „Das ist alles noch zu kompliziert bei uns, Anfänger müssen zu viel Zeit und Geld investieren. In anderen Ländern gehst du einfach mit Freunden auf den Platz und fängst an“, sagt Elisabth Esterl. Ihr Einstiegstipp: „Bei Ebay für ein paar Euro einen alten Schläger ersteigern und los!“

Elisabeth Esterl: Solheim-Veteranin
ABV-Chef Joachim Müller nutzt den Solheim Cup, um am ersten Turniertag Vertreter und Kunden zu treffen. „Das geht hier entspannter als im Fußballstadion“, beschreibt er die Atmosphäre in der Allianz-Lounge, die an Loch 16 aufgebaut ist. „Das Business läuft hier nebenbei.“ Für den Vertrieb sieht Müller große Chancen rund ums Thema Golf. „So wie wir als Allianz ein großes soziales Netzwerk sind, so sind Golfvereine auch soziale Plattformen, die langfristig funktionieren“, sagt Müller. Ein Allianz Vertreter, der sich seit Jahren in der Allianz-Jugendgolfserie „Lucky 33“ engagiert, habe mit diesen Golf-Kontakten seinen Bestand in kurzer Zeit verdreifacht, erzählt Müller. Ein Strang, den die Allianz in den rund 800 deutschen Golfclubs weiter ausbauen wird, kündigt Joachim Müller an.
Die familiäre Atmosphäre nutzt Müller auch zu Gesprächen mit den Kollegen von SAP. Zum Beispiel mit Rolf Schumann, dem Cheftechnologen der Walldorfer Softwarespezialisten. Für ihn ist das Turnier auch ein Fest der Daten, jeder Schlag wird exakt getrackt und in Echtzeit auf die Solheim-App gespielt. Im Big-Data-Truck führt Schumann die Zukunft des Sports vor: Sie sieht aus wie ein Computerspiel, nur dass es um echte Matches geht. Auf einem Touchscreen zeigt Schumann, wie Big Data Golf besser machen kann. Bei jedem einzelnen Loch ist nachvollziehbar, ob ein Spieler den richtigen Schläger gewählt hat, seinen Schwung im Griff hatte oder nicht. „Das Ziel ist es, aus seinen Fehlern zu lernen“, sagt Rolf Schumann. Manche haben Angst davor, so transparent dargestellt zu werden. „Aber Daten sind weder gut noch schlecht“, sagt er, es geht darum, die Zusammenhänge herauszuarbeiten und die richtigen Schlüsse zu ziehen.“ Er hat einen Sensor in seinem Schläger und jedes seiner Spiele als Datensatz. Und lässt sich dann von seiner Golf-App sagen, wie er sein nächstes Training gestaltet.
Die Spannung steigert sich am Sonntag dann zum Drama: Die Europäerinnen, am Morgen noch mit 10:6 Punkten in Führung, verlieren am Ende mit 13,5 zu 14,5 gegen die US-Girls, zwei Matchbälle vergeben sie um Zentimeter. Ein einziger Putt hätte das Ganze für Europa entschieden, und das nach 20 Matches mit vielen Hunderten Schlägen. Der Solheim Cup endet, wie großer Sport enden muss: Tränen der Trauer, Tränen des Glücks. Große Gefühle auf grünem Gras. Beklatscht werden die Sieger am Ende von allen, was nicht in allen Sportarten so fair gehandhabt wird. Die Allianz ist wohl nicht zum letzten Mal dabei. „Ab heute haben wir einen neuen Traum“, sagt Manfred Boschatzke: „Den Ryder Cup 2022 nach Deutschland zu holen, zum ersten Mal in seiner 80-jährigen Geschichte.“
Die kommentierten Highlights zum Finale finden sie als Videobeitrag in der ARD Mediathek: Europäische Golferinnen verpassen Titelverteidigung
Einen ausführlichen Sportbericht aus der SZ zum Finale finden sie hier: Europa vergibt zwei Matchbälle

SAP-Cheftechnologe: Rolf Schumann erklärte den Zusammenhang von Big Data und Golf