Vitamin B ist gut – B1, B2 & B3 sind besser
Beziehungs-Spezial / / / November 2016
Christian Beyer hat 1977 die Agentur des Vaters übernommen – und 2014 an seine Söhne übergeben. Sein verblüffendes Erfolgsrezept: Tue alles, damit es bloß kein Familienbetrieb wird. Deswegen haben alle Beyers jetzt neue Namen

Schnappschuss mit Selbstauslöser: Jutta und Christian Beyer mit den beiden Jungs. Ende der Achtziger trugen Simon und Sebastian (v. l.) die Hosen kurz und die Haare lang. Sie träumten von Profikarrieren als Handballer und Tennisspieler // Zeitsprung ohne Kater Garfield: Inzwischen haben sich die Männer der Familie frisurenmäßig wie auch beruflich angeglichen – v. l.: B1 = Christian, B3 = Simon und B2 = Sebastian. Nur Mama Jutta ist ihrem lässigen Stil treu geblieben
s gab da diesen Tag in der Schule, als es um die Berufe der Eltern ging. Zwar hatte Simon Beyer seinen Vater vor Augen, wie er sich mittags in seinem Anzug an den Esstisch setzte. Wie er immer wieder Urkunden von der Arbeit mitbrachte, die er in Kisten verstaute. Wie er, der Geschäftsmann, alles im Griff hat. »Aber als der Lehrer mich gefragt hat, was mein Vater eigentlich macht, fiel mir auf: Ich hatte überhaupt keine Ahnung.«
Privat ist privat, Laden ist Laden. Diese Grundregel gilt für Christian Beyer, seit er die Agentur 1977 von seinem Vater übernahm. Erst hielt er die Arbeit fern von der Familie, später die Familie fern von der Arbeit. Denn als seine Söhne 2008 und 2009 bei ihm einsteigen, führen sie folgende Regel ein: Im Büro redet Christian Beyer nicht mit Sebastian und Simon, seinen Söhnen, sondern mit »B2« und »B3«, seinen Geschäftspartnern. Er selbst heißt nicht Papa, sondern »B1«. Auch für die anderen Mitarbeiter. Und natürlich treten sie gemeinsam nicht als »Beyer + Söhne« auf, sondern als »Beyer + Partner«.
Die Beyers haben geschafft, was vielen Agenturen Probleme bereitet: den erfolgreichen Generationenwechsel. Und das sogar zweifach. Gegründet wurde das Büro in Bielefeld 1959 von Heinz Beyer, »einem Patriarchen, der sehr erfolgreich war, intern als ›Unfallkönig‹ galt, und mit dem eine Zusammenarbeit schwer möglich gewesen wäre«, erinnert sich Christian Beyer.
Als Heinz Beyer überraschend stirbt, ist Christian 22 und hat gerade in der Industrieabteilung der Allianz Hamburg angefangen. Fünf Jahre später führt er das Büro als eigenständige Agentur weiter, baut den Schwerpunkt auf Gewerbekunden aus und fährt einen Umsatzrekord nach dem anderen ein (und freut sich über eine äußerst positive Bestandsentwicklung). Die Agentur zieht dreimal in größere Räume um. Als »bodenständiger Ostwestfale« will er nicht aufzählen, welche Auszeichnungen genau in seinen Kartons liegen. Also nur so viel: »Ich bin Ehrenmitglied Heß und Ring.«
Sebastian und Simon, Jahrgang 1977 und 1980, haben erst ganz andere Pläne, als B2 und B3 zu werden. Nach Verletzungspech als Tennisspieler macht Sebastian eine Ausbildung zum Physiotherapeuten und arbeitet fünf Jahre in einer Praxis. »Als ich mit 30 vor dem Sprung in die Selbstständigkeit stand, kamen die ersten Zweifel, ob sich das finanziell lohnen würde.« Aber als Alternative Versicherungen verkaufen? Sebastian redet erst mit seiner Frau, dann mit seinem Bruder Simon. Der arbeitet zu dem Zeitpunkt als Maklerbetreuer bei der Allianz in Hamburg. Er hatte sich schon nach dem Abitur für ein duales Studium bei der Allianz entschieden, wusste aber auch, »dass ich nicht als Junior zum Alten ins Büro wollte«. Doch in Mannheim wie später auch in Hamburg kommt Simon auch so nicht um die Erfahrung herum, mit dem erfolgreichen Vater verglichen zu werden – »und das, obwohl ich damals noch Haare hatte und nicht die typische Beyer-Frisur«.
Diesen Vergleichsdruck, den B1 selbst erlebt hatte, wollte er seinen Söhnen eigentlich ersparen. »Ich habe immer gesagt, dass ich das Büro irgendwann auch einfach abschließen kann. Die Welt in Bielefeld geht ja weiter auch ohne die Agentur Beyer.« Doch als Sebastian ihn anruft, hat Simon das Gefühl, genug Fachwissen gesammelt zu haben, um sich von B1 abzugrenzen. Ohne ihren Vater entscheiden sie: Wir probieren es zusammen. »Zu zweit empfindet man den großen Laden des Vaters nicht als ganz so unheimlich«, sagt B2. »Mit einem Fremden hätte ich diesen Schritt aber nie gemacht.«


Oben: »Privat ist privat, Laden ist Laden«, das war Vater Christian (r.) und Jutta Beyer schon immer wichtig. Für die Brüder Sebastian und Simon (v. l.) war der Job des Papas damals ein Geheimnis. // Unten: »Papa heißt heute B1 und ist fürs ›Graulocken-Geschäft‹ zuständig.« Auf dem Sofa sitzt die Familie immer noch gern
Fünf Jahre lang arbeiten B2 und B3 als Angestellte ihres Vaters, bis sie 2014 die Agentur übernehmen. Kurz bevor sie zum Wechsel in die neuen modernen Räume an der Jöllenbecker Straße ziehen, erleben die Beyers einen Rückschlag: Sie verlieren eine große Kanzlei als Kunden und damit einen Bestand von 350 000 Euro. Christian Beyer hatte den Erfolg der Agentur vor allem auf einige wenige, aber intensive Großverbindungen aufgebaut. Dazu kommt, dass die alten Kunden nur einen Beyer als Geschäftspartner wahrnehmen: B1.
Die Beyers gehen pragmatisch vor. »Wenn einer die ältere Glatze sehen will, soll er«, sagen sie sich. B1 bekommt auch als Geschäftsführer a. D. das größte, repräsentative Büro und ist nun zuständig für das »Graulocken-Geschäft«, wie er es scherzhaft nennt. Während er sich Zeit nimmt für die Bestandskundenpflege, arbeiten B2 und B3 daran, ihr Geschäft auf eine breitere Basis zu stellen, holen Hilfe bei Callcentern und präsentieren sich in den sozialen Medien. »Kontinuität nach innen, Aktivität nach außen« wird zu ihrer Erfolgsformel. Innerhalb kurzer Zeit wächst ihr Bestand im zweistelligen Prozentbereich. B3, der »rational-strukturierte Typ«, konzentriert sich inzwischen auf das Sachgeschäft und arbeitet an individuellen Konzepten. Der »menschelnde« B2 ist für Kranken und Leben, aber vor allem auch für Mitarbeiter verantwortlich. Drei Voll- und vier Teilzeitkräfte arbeiten bei den Beyers. »Der Umgang mit dem Personal hat sich schon stark verändert seit der Übergabe«, erzählt er, »es ist deutlich gemeinschaftlicher.« Regelmäßige Teamsitzungen sollen den Informationsaustausch hochhalten und mehr Verantwortung nach unten abgeben. Nach anstrengenden Tagen geht das Büro gemeinsam essen, gibt es etwas zu feiern, auch zusammen auf Reisen. »Weil wir einen Tick mehr von unseren Mitarbeitern verlangen als üblich, machen wir uns umgekehrt auch Gedanken, was wir ihnen Gutes tun können«, sagt B2. Zum Beispiel mit unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen.
Für B1 waren private Gespräche mit Angestellten früher unüblich – heute bekommt das ganze Büro selbstverständlich die Taufbilder von B3s kleinem Sohn zu sehen. »Genauso wichtig ist es, sich den Kunden gegenüber ein Stück weit zu öffnen«, sagt B3. »Smalltalk ist selbstverständlich geworden. Da kommen manchmal tolle Sachen bei raus – so wie wir nun mehrmals im Jahr nach Berlin zu unseren Start-ups fahren, seit wir über den Sohn eines Kunden Kontakt in die Szene bekommen haben.« Eines ist aber gleich geblieben bei den Beyers: Auch wenn sie mit Mitarbeitern über Privates reden und Kunden bei deren Hochzeitsfeiern besuchen, sprechen sie privat ganz selten über die Arbeit. Schon gar nicht im Urlaub. »Wenn da das Diensthandy meines Vater klingelt und er stundenlang verschwindet, weiß ich immer noch nicht, was er eigentlich macht«, sagt Simon Beyer. Er spielt dann lieber mit seinem fünf Monate alten Sohn – vielleicht der künftige B4. Die Frisur stimmt ja schon mal.
Die neun goldenen Regeln der Beyers
Kunden_____
1 – »Höre immer gut zu. Wenn der Kunde sagt, er hat etwas so empfunden, dann ist es so«
2 – »Denke daran, wie du dem Kunden helfen kannst – und nicht an deine Provision«
3 – »Wir wollen jeden Kunden, aber wir brauchen ihn nicht für unsere Brötchen«
Mitarbeiter_____
4 – »Das Team ist wichtiger als der Einzelne. Ein toller Umsatzmacher bringt nichts, wenn er menschlich nicht zu uns passt«
5 – »Vertrauen und offene Kommunikation sind alles«
6 – »Wir drei sind stark, aber wir sind fast nichts ohne unsere Mitarbeiter«
Familie_____
7 – »Nimm dich als Person nicht zu wichtig«
8 – »Rede zu Hause wenig über die Firma«
9 – »Vertraue darauf, dass du am Ende nicht allein dastehst«