„Früher trommelte ich auf Olivendosen“
Regio Südwest / / / März 2015
Wie der türkischstämmige Vertreter Candemir Inac aus Reutlingen Tausende Hochzeitsgäste tanzen lässt und sein Geschäft damit in Schwung bringt.

Candemir Inac spielt Saz und verzückt damit nicht nur das Brautpaar, sondern Hunderte Gäste im Saal
underte Hände klatschen, Taftkleider schwingen, Braut und Bräutigam drehen sich, lachen. Sie genießen ihre düğün, ihre türkische Hochzeit. Und „Can“ – wie Candemir Inac von Freunden genannt wird – geht ganz in seiner Musik auf. Seine türkische Langhalslaute, die Saz, ertönt mal klagend, mal fröhlich. Sie klingt an diesem Abend nicht nur für „Can“ nach seiner Heimatstadt Denizli im Westen der Türkei. Viele der 1100 Hochzeitsgäste bei diesem Auftritt in der Arena Balingen stammen aus der Ägäis-Region, deren Sound seine Band Grup Pamukkale so gut verkörpert. Pamukkale – den Bandnamen schlug einst der Vater von Candemir Inac vor. Obwohl er selbst nie Musik machte, hatte er immer das perfekte Gespür dafür. Denn Pamukkale erinnert Landsleute sofort an die gleichnamigen berühmten Kalksteinterrassen bei Denizli und ist ein Grund für die Popularität der Gruppe. Meist tourt „Can“ mit Ziehsohn Tufan als Keyboarder und Ali, dem bekannten türkischen Musiker und Sänger. Manchmal begleitet ihn auch Tochter Simay, 18, als Sängerin – durch Deutschland, Österreich oder die Schweiz. Früher an 50 Wochenenden, heute spielen sie noch an 30 – der Kräfte und Zeit wegen.
Heimlich den Opa belauscht
Hat sich der 46-jährige Vertreter je solch einen Erfolg erträumt? Dass er einmal ähnlich bekannt sein würde wie sein Opa Süleyman, der in der Türkei regional als begnadeter Trommler galt? „Sicher nicht. Denn mein Großvater wollte nie, dass wir Kinder ihn heimlich bei Hochzeitsfesten beobachteten. Wir schlichen ihm trotzdem nach. Wenn er uns entdeckte, sagte er: ,Geht heim Fußball spielen!‘“, erinnert sich Inac. „Als er jedoch spürte, wie entschlossen wir waren, selbst Musik zu machen, hat er uns aus großen leeren Konserven- und Olivendosen eine Art Schlagzeug gebaut. Darauf haben mein zwei Jahre älterer Bruder Salih und ich getrommelt. So fing alles an.“

„Musik macht mich glücklich“ – Inac auf der Bühne, im Parkett vor ihm Zeybeck-Tänzer
Wird noch alles gut?
Doch das Leben in der Türkei wandelte sich bald für Candemir Inac. Sein Vater, ein Tischler, der bereits seit 1963 als Gastarbeiter in Sonnenbühl arbeitete, dort 1965 ein Bauernhaus baute, holte seine Frau und die fünf Kinder 1978 auf die Schwäbische Alb. Candemir war gerade neun Jahre alt. Er erinnert sich: „Viel Geld war nicht da. Also baute ich mit meinem Bruder Salih wieder aus leeren Plastikflaschen und Waschmittelkartons Musikinstrumente. Meinem Vater imponierte das wohl. Er wollte uns unbedingt fördern und meldete uns darum im türkischen Verein Reutlingen an. Dort bekamen wir als Leihinstrumente zwei Saz – und dann hat’s gefunkt.“ Ihr damaliger Lehrer war vom Talent der Brüder so fasziniert, dass er sie auch privat unterrichtete. Inac erzählt: „Mein Bruder hat zudem eine außergewöhnlich gute Stimme. Er war darum später eine Zeit lang Sänger in unserer Band.“ Die Vielfalt der Instrumente, die Inac heute spielt, verdankt er der Musikbegeisterung seines Vaters. Der kaufte den Jungs nach und nach immer mehr Instrumente. Zuerst ein Schlagzeug, das Inac liebte. Mit der Zeit brachte er sich noch das Keyboard-, Klavier- und Akkordeonspielen sowie mehrere orientalische Musikinstrumente bei.

Candemir Inac mit 11 Jahren am Tambourin (M.) – sein erster Auftritt bei einer Hochzeit
Musizieren und versichern auf Empfehlung
Nach 35 Jahren auf der Bühne ist Inac mittlerweile ein Allrounder. Rund 800 Titel hat die Band im Repertoire, auswendig, versteht sich. Eine Anekdote demonstriert einmal mehr, wie versiert die Musiker sind: Bei einem Fest erkundigte sich ein professioneller Hochzeitstänzer, ob die Band einen Zeybeck spielen könne. Dieser traditionelle Volkstanz der Ägäis-Region hat vorgeschriebene Schrittfolgen, wird individuell interpretiert und ist darum für Musiker heikel. „Sicher“, war Inacs Antwort, er stamme ja aus der Gegend. Später bedankte sich der Tänzer begeistert, bat um eine Visitenkarte und lud die Band prompt auf eine große Hochzeit in Rotterdam ein. So laufen Empfehlungen. Und: Die Gäste empfehlen nicht nur den Musiker Inac weiter – auch den Vertreter.

Candemir Inac mit seinem Team – das er 2015 ausbauen will – in der Reutlinger Agentur
Der etwas andere Vertreter
„Als Musiker genieße ich einen Vertrauensvorschuss bei meinen Landsleuten, weil ich nicht als der typische Vertreter gelte“, erklärt Inac die Sympathien. „Viele Türken sind sehr skeptisch, weil sie nach ihrem Zuzug auch schlechte Erfahrungen gemacht haben. Aber wenn sie mich auf der Bühne sehen, ändert sich das.“ Ihn bitten Landsleute um Rat zu Versicherungen, die ihn nur als Saz-Spieler oder gar vom Hörensagen kennen. „Wie eine Lawine rollt das auf mich zu“, beschreibt Inac das Interesse. „Sicher auch, weil ich anders berate. Ich möchte dem Kunden zuerst einmal helfen, ob beim Übersetzen amtlicher Unterlagen oder dem Optimieren alter Verträge. Wichtig ist all meinen Landsleuten zudem, dass sie bei einer großen Marke versichert sind. Und sie schätzen, dass ich immer erreichbar, geduldig und sehr offen bin. Dank dieser Eigenschaften erarbeitete ich mir bereits als Allianz Kundenbetreuer ab dem Jahr 2002 einen sehr großen Bestand.“ Seit 2011 ist der ehemalige Radio- und Fernsehtechniker nun Inhaber einer eigenen Allianz Agentur. Wenn er mit seinem Sohn Tamay – einem seiner vier Kinder – durch die Reutlinger Fußgängerzone bummelt, sprechen Inac viele Kunden an und wollen ihm einen Kaffee spendieren. Der Zwölfjährige fragt dann jedes Mal verwundert: „Papa, warum wollen dich immer alle einladen?“